Ärztin erklärt Patienten auf dem Tablet die Diagnose
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Was dahinterstecken kann

Diagnose Rückenschmerzen ernst nehmen

Von: Miriam Funk (Redaktionsleitung und Physiotherapeutin)
Letzte Aktualisierung: 11.02.2021

Weltweit sind 540 Millionen Menschen von Rückenschmerz betroffen. Neu auftretende Rückenschmerzen sollten ernst genommen und beim Hausarzt abgeklärt werden. Doch häufig findet bei Rückenschmerzpatienten eine teure Überdiagnostik statt: Bei akuten Schmerzen ist eine umfassende Untersuchung mit bildgebenden Verfahren noch nicht notwendig.

Rückenschmerzen schränken die Lebensqualität ein. Zwar ist die Ursache in den meisten Fällen harmlos, aber hinter den Beschwerden können sich ernsthafte Erkrankungen verbergen. Zudem besteht die Gefahr, dass der Schmerz zum Dauerzustand wird. Betroffene sollten deshalb Rückenschmerzen als Symptom ernst nehmen und für eine gesicherte Diagnose den Hausarzt oder Orthopäden aufsuchen.

Die Diagnose von Rückenschmerzen basiert zum einen auf der Anamnese, der Erhebung der Krankengeschichte durch den Arzt. Gezielte Fragen nach Art der Beschwerden, dem zeitlichen Verlauf ihres Auftretens, eventuellen weiteren Erkrankungen sowie Berufs- und Freizeitverhalten geben wichtige Informationen zu möglichen Ursachen und zur Prognose der Erkrankung. Im Anschluss verschafft die körperliche Untersuchung dem Arzt einen Überblick über den allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten.

Tastuntersuchung bei Rückenschmerzen

Die Tastuntersuchung dient dazu, Schmerzpunkte und Schwellungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates zu erkennen. So lassen sich zum Beispiel Verspannungen oder Verhärtungen der Rückenmuskeln feststellen und eingrenzen.

Allgemeine Beurteilung

Für die körperliche Untersuchung ist es notwendig, dass sich der Patient teilweise auszieht, da eventuelle Schädigungen des Stütz- und Bewegungsapparates erst im unbekleideten Zustand sichtbar werden. Der Arzt verschafft sich zunächst einen Eindruck von der körperlichen Erscheinung des Patienten. Anschließend untersucht er am stehenden Patienten die Statik der Stütz- und Bewegungsorgane. Beurteilt werden:

  • die Achsenstellung von Füßen und Beinen (zum Beispiel so genannte O- oder X-Beine)

  • die Statik der Wirbelsäule (zum Beispiel Hohlkreuz oder Rundrücken durch bestehende Verbiegungen der Wirbelsäule)

  • der Beckenstand (zum Beispiel Beckenschiefstand durch eine Beinlängendifferenz)

  • der Schulterstand (zum Beispiel nach vorn fallende Schultern durch eine Haltungsschwäche)

  • die Kopfhaltung. Am gehenden Patienten kann der Arzt Unregelmäßigkeiten wie Hinken, Stolpern oder ungenügendes Durchstrecken von Knie- und Hüftgelenken beobachten.

Am gehenden Patienten kann der Arzt Unregelmäßigkeiten wie Hinken, Stolpern oder ungenügendes Durchstrecken von Knie- und Hüftgelenken beobachten.

Beurteilung der Wirbelsäulenbeweglichkeit

Patienten mit Rückenschmerzen haben häufig eine eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule. Der Arzt überprüft deshalb den aktiven und passiven Bewegungsumfang. Erfasst wird, in welchem Ausmaß sich die Wirbelsäule beim Vor- beziehungsweise Rückwärtsneigen streckt (Schober- und Ott-Zeichen) und wie groß beim maximalen Vorneigen der Abstand zwischen Fingerspitzen und Boden ist. Bestimmt werden darüber hinaus die maximal mögliche Seitneigung des Rumpfes und die Rotation der Wirbelsäule (Verdrehung der Schulter gegenüber dem Becken). Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule wird anhand des Abstands zwischen Kinn und Brustbein beim Vor- und Rückwärtsneigen des Kopfes gemessen. Auch die Seitneigung und Rotationsfreiheit des Kopfes werden erfasst. Leidet der Patient unter akuten Schmerzen, werden all diese Untersuchungen selbstverständlich nur sehr vorsichtig durchgeführt.

Funktionsprüfung von Gelenken

Da die Ursachen für Rückenschmerzen nicht immer primär vom Rücken selbst ausgehen beziehungsweise Schädigungen der Wirbelsäule wiederum Auswirkungen auf den gesamten Bewegungsapparat haben können, gehört zur körperlichen Untersuchung auch die Untersuchung von Gelenken an Armen und Beinen. Dabei werden jeweils der Bewegungsumfang bei Eigenbewegung beziehungsweise bei Bewegung durch den Arzt sowie eventuell bestehende Bewegungseinschränkungen erfasst.

Labordiagnostik bei Rückenschmerzen

Im Rahmen der Diagnose bei Rückenschmerzen wird oft eine Blutuntersuchung durchgeführt. Dabei werden verschiedene Parameter bestimmt:

  • Blutsenkung: Bestimmung der Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit

  • Entzündungsfaktoren: Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP), erhöhte Anzahl der weißen Blutkörperchen, reduzierte Konzentration von Eisen im Blut

  • Rheumafaktoren: IgM-Antikörper, die sich gegen das Immunsystem richten

  • Antinukleäre Faktoren: Antikörper, die sich gegen Zellbestandteile richten

  • Antistreptolysintiter (AST): Antikörper gegen Bestandteile von bestimmten Bakterien

  • HLA-B 27: eine Struktur auf der Oberfläche von Zellen, deren Vorhandensein die Neigung zu bestimmten rheumatischen Erkrankungen wie Morbus Bechterew oder Psoriasisarthritis erhöht.

  • Knochenstoffwechsel: Konzentration von Kalzium, Phosphor und alkalische Phosphatase

Neurologische Untersuchung bei Rückenschmerzen

Um zu überprüfen, ob neben den Rückenschmerzen weitere Symptome vorliegen, wird eine gründliche neurologische Untersuchung durchgeführt. Dabei werden in erster Linie eventuelle Lähmungszustände in Armen und Beinen erfasst, die auf eine Schädigung der Wirbelsäule zum Beispiel durch Bandscheibenvorfall oder auch einen bösartigen Tumor hindeuten können.

Rückenschmerzen nach der Diagnose zügig behandeln

1255 x Die Gefahr, dass akute Rückenschmerzen chronisch werden, ist groß. Rund 40 Prozent der Bevölkerung leiden Schätzungen zufolge unter dauerhaften oder wiederkehrenden Rückenschmerzen. Diese beeinträchtigen das Wohlbefinden der Betroffenen in erheblichem Maße und führen häufig zu Arbeitsausfall und Frühberentung. Mediziner verstehen heute sehr viel besser, weshalb es zur Entwicklung chronischer Rückenschmerzen kommt und welche Risikofaktoren bei der Ausbildung eines eine Rolle spielen.

Bildgebende Verfahren bei chronischen Rückenschmerzen

Bestehen die Rückenschmerzen länger als eine Woche an, kann der Arzt bildgebende Verfahren zur Aufklärung der Ursachen einsetzen. Hauptsächlich werden folgende Methoden eingesetzt:

  • Röntgenuntersuchung
  • Computertomografie (CT)
  • Magnetresonanztomografie (MRT, Kernspintomografie):
  • Knochenszintigrafie: Dieses Verfahren wird nur in bestimmten Fällen angewandt. Dies gilt bei Verdacht auf einen Tumor oder Entzündungen.

Rückenschmerzen oft unspezifisch

Spezifische Erkrankungen der Wirbelsäule wie Wirbelkörperbrüche, Tumoren, Infektionen oder entzündlich rheumatische Erkrankungen sind eher selten Ursache von Rückenschmerzen. Die meisten akuten Rückenschmerzen sind unspezifisch und auf muskuläre Probleme zurückzuführen. „Der Arzt muss jedoch ausreichend qualifiziert sein, um den Verdacht auf eine bestimmte Erkrankung als Ursache zu formulieren und an einen Facharzt zu überweisen“, betont Professor Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Präsident der DGRh. Nach wie vor geschieht es, dass rheumatisch entzündliche Krankheiten nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, fortschreiten und Schäden hinterlassen, die nicht umkehrbar sind.

Das gilt auch für die häufigste entzündlich rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule, die Morbus Bechterew genannte Erkrankung befällt insbesondere Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Im Verlauf der Erkrankung versteifen die Gelenke der Wirbel. Im Endstadium zwingt dies die Betroffenen in eine gebückte Haltung. Die Betroffenen klagen im Frühstadium oft darüber, dass morgens die untere Wirbelsäule steif ist. In Bewegung bessern sich die Symptome. „Wenn der Allgemeinarzt in diesen und ähnlichen Fällen Verdacht auf eine spezifische Ursache für die Rückenschmerzen hat, sollte er den Patienten an einen Rheumatologen überweisen“ empfiehlt Professor Dr. med. Joachim Sieper aus Berlin.

Vorsicht bei Überdiagnostik bei Rückenschmerzen

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) rät bei nichtspezifischen Rückenschmerzen unter sechs Wochen und ohne Warnzeichen von bildgebender Diagnostik ab. Umso mehr bedürfen entzündlich rheumatische Krankheiten dringend einer qualifizierten Diagnostik, so die Experten der DGRh. Auch Autoren aktueller Studien unterstützen diese Ansicht.

Bei Rückenschmerzen erst zum Allgemeinarzt

„Primärer Anlaufpunkt für Patienten mit Rückenschmerzen ist jedoch die Allgemeinarztpraxis“, meint Professor Sieper. Die klare Empfehlung des Rheumatologen von der Charité – Universitätsmedizin Berlin: „Aufwendige diagnostische Maßnahmen sollten in der Regel vermieden werden“. Denn die Beschwerden der meisten Patienten bessern sich schon durch Beratung, Morbus Bechterew und psychologische Betreuung. Es sei wichtig, so Sieper, dass Patienten aktiv bleiben, weiterhin am täglichen Leben teilnehmen und ihrem Alltag und damit auch ihrer Arbeit nachgehen.

Auch die DGRh hat diese Negativempfehlung für Ärzte schon 2016 im Rahmen der Initiative „Klug Entscheiden“ formuliert: Halten nicht spezifische Rückenschmerzen weniger als sechs Wochen an und weisen keine sogenannten Red Flags auf, sollte der Arzt auf Bildgebung wie Röntgen und andere Verfahren verzichten. Red Flags sind verschiedene eindeutige Warnhinweise auf Erkrankungen der Wirbelsäule mit sofortigem Handlungsbedarf. Dazu zählen:

  • Frakturverdacht (zum Beispiel nach Sturz oder Sportunfall)
  • Verdacht auf Tumor (zum Beispiel bei vorheriger Krebserkrankung)
  • Verdacht auf Infektion (zum Beispiel bei vorhergehender Infektion und schwachem Immunsystem)
  • Lähmungen und Gefühlsstörungen